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Persönliche Erinnerung

Untertitel
Zu Wolfgang Rihms Zeit in München
Vorspann / Teaser

Über die Nachricht vom Tod von Wolfgang Rihm war ich sehr betroffen. Auch deswegen, weil ich im selben Jahr geboren bin wie er, 1952. Ich kann nun keine umfassende Würdigung seines Schaffens geben, nur eine persönliche Erinnerung an die Zeit, als Rihm Anfang der Achtziger Jahre an der Münchner Musikhochschule unterrichtet hatte.

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Mein Kompositionslehrer Wilhelm Killmayer hatte in den Sommersem­estern 1981 und 1982 jeweils Freisemester genommen und Rihm gebeten, ihn als Kompositionslehrer zu vertreten. Ich hatte gerade angefangen, bei Killmayer zu studieren und in dieser Zeit vor allem Chormusik geschrieben, als komponierender „Anfänger“ auf der Suche nach einem eigenen Stil. Unter dem kritischen Blick von Rihm entstand 1982 ein Orgelstück mit dem Titel „Zittern, Beben, Schwanken, Schweben“. In meinem Kirchenmusikstudium spielte ich gerade die Variationen über „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ von Franz Liszt, also eine Paraphrase über eine Bass-Melodie von J. S. Bach, ein sehr virtuoses, bewegtes Stück. Den Liszt’schen Titel hatte ich sozusagen verändert für mein Orgelstück übernommen. 
Rihm hat mir in der Zeit der Arbeit daran eigentlich keine technischen Ratschläge für die Komposition gegeben, sondern nur in seinem badischen Dialekt gesagt „muscht dranbleibe“ an dem Stück, verbunden mit einem sehr intensiv-suggestiven Blick seiner charakteristischen Physiognomie. Jedenfalls wurde das dann ein wildes, toccaten-artiges und eruptives Orgelstück von 15 Minuten Dauer, eine eigenartige stilistische Mischung aus Liszt, Rihm und etwas Beckschäfer, das ich dann mehrmals öffentlich aufgeführt habe. In der Zeit wusste ich noch nicht, dass Rihm selbst einige Orgelwerke geschrieben hatte. Jedenfalls blieb „Zittern, Beben“ in meinem Werkverzeichnis mehr oder weniger das einzige Werk mit diesem wilden Charakter, formal etwas amorph ganz auf „Klang“ gestellt und über weite Strecken im Forte.

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Sehr typisch scheint mir auch, dass wir in den Analyse-Stunden der Kompositionsklasse gemeinsam mit Rihm immer wieder Beethoven analysiert haben. Bemerkenswert war außerdem, dass Rihm ein wirklich profunder Kenner der belletristischen Literatur gewesen ist. Zum Abschied bekam ich von ihm das Buch „Die Wörter“ von J.P. Sartre geschenkt mit einer persönlichen Widmung, die mir nun natürlich besonders wertvoll ist. 
Auf einem Foto aus dieser Zeit sieht man Rihm und Killmayer am Klavier sitzen und vierhändig Walzer spielen – es könnte sich um die „Brahms-liebe-walzer“ von Rihm gehandelt haben. Auf dem Foto sieht Rihm fast aus wie der junge Schubert. 

Es blieb nicht aus, dass dann das Werk meines Lehrers Killmayer letztendlich doch für mich wichtiger wurde, weil das „Persönliche“ in der Musik für Killmayer im Melodischen liegt. Und ich dann peu a peu meine besondere Begabung für das „Vokale“ entdeckt habe. 
Für Rihm ist „Melodie“ eigentlich nie primär wichtig gewesen, obwohl er sehr viele Lieder geschrieben hat, von denen mir die „Hölderlin-Fragmente“ die liebsten geworden sind. Als ich später selbst unterrichtet habe, habe ich öfter Unterrichts-Stunden mit Hölderlin-Vertonungen gestaltet, mit Liedern von Eisler, Britten, Henze, Kurtag, Killmayer und eben Rihm. Wobei das Besondere an den Rihm’schen Hölderlin-Vertonungen das Zerrissene, Wahnsinnige und Extreme (auch in der Behandlung der Singstimme) ist – ganz im Gegensatz zu den visionären, lichten und eher zarten Killmayer’schen Hölderlin-Vertonungen, die sehr anders sind.

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Einen besonderen Rihm-Moment habe ich einmal beim Autofahren erlebt, im Autoradio lief ein Stück für Klavier und Cello, zarteste, gläserne Cluster im Klavier und hohe zerbrechliche Cello-Töne, ein wunderbar leises Stück, dessen Komponist ich nicht erkannte. Im Abspann hieß es: „Antlitz“ von Wolfgang Rihm. Ja, er konnte auch überraschen und nicht nur laut und wild sein mit seiner Musik.

Ein wirklicher Trost ist für mich, dass sein Künstlerleben, das nun so plötzlich zu Ende gegangen ist, doch so erfüllt gewesen ist von Musik. Er hat so viel komponiert, dass es für mehrere Komponisten-Leben reicht. 

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